Business Reengineering

Der englische Begriff Reengineering kommt ursprünglich aus der Informationstechnik und umschreibt einen Vorgang, bei dem man versucht, ein bestehendes System ohne
Rückführung auf seine Spezifikation durch ein anderes System zu ersetzten. Das in diesem Ursprung enthaltene „Ersetzen durch etwas völlig anderes (neues)“ findet sich
auch im Organisationsgestaltungskonzept Business Process Reengineering oder kurz BPR wieder. BPR ist ein vergleichsweise junger Ansatz, der Ende der 80er Jahre in den
USA entwickelt wurde und mit dem Bestsellerbuch von Michael Hammer und James Champy „Reengineering the Corporation“ seit seinem Erscheinen 1993 eine sehr
große Bekanntheit und Implementierungsverbreitung erfahren hat.

Unter Business Process Reengineering versteht man das fundamentale Überdenken und die radikale Neugestaltung der Unternehmung in ihrer Gesamtheit, mindestens aber der grundlegenden und wesentlichen Unternehmensprozesse. Ziel dabei ist eine erhebliche Verbesserung der kritischen Leistungsdimensionen Qualität, Zeit, Kosten
und Service.

Dabei konzentriert sich das BPR auf die folgenden vier Kernthemen:

• Die Orientierung an den kritischen Geschäftsprozessen
• Die Ausrichtung der kritischen Geschäftsprozesse am Kunden
• Die Konzentration auf die Kernkompetenzen
• Die Nutzung modernster Informationstechnologie (IT)

Für das Gelingen von BPR unverzichtbar ist die Bereitschaft zu einem mentalen Wandel aller Beteiligten im Unternehmen, denn nach Hammer und Champy geht es nicht nur darum, einzelne Abläufe zu optimieren, sondern einen völligen Neubeginn zu wagen – eine Radikalkur durchzuführen. Dafür sei es notwendig, so die Autoren, dass das Unternehmen einen Großteil traditioneller Weisheiten über Bord wirft und sich überlegt, welche Vorgehensweisen zum aktuellen Zeitpunkt adäquat wären.

Um über das Konzept des BPR Klarheit zu bekommen, müssen verschiedene zentrale Begriffe einheitlich verstanden werden: Fundamental, Radikal, Verbesserung um Größenordnungen, Geschäftsprozess, Kerngeschäftsprozesse, Kernkompetenzen, Induktives Denken, Visionen, Structure follows Process.

Fundamental

Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich im BPR zu Beginn grundlegende Fragen stellen und damit die Fundamente ihres Geschäfts auf den Prüfstand stellen.

Beispiel:
Was tun wir? Warum machen wir diese Dinge? Weshalb machen wir diese Dinge auf diese Art und Weise?

Mit diesen Fragen beginnt ein Unternehmen am Nullpunkt seines Geschäfts und lenkt die Aufmerksamkeit auf informelle und unausgesprochene Annahmen, Prämissen und Regeln, die sich bei genauer Betrachtung für die entsprechende Marktsituation oft als inadäquat und ungeeignet erweisen. Hammer und Champy verdeutlichen dieses fundamentale „In Frage stellen“ mit einem Beispiel aus dem Bankwesen. Eine dort zur
Verbesserung des Bankgeschäfts häufig gestellte Frage ist „Wie können wir die Kreditwürdigkeit unserer Kunden wirksamer überprüfen?“. Die Fragestellung beruht auf der breit geteilten Ansicht, die Bonität der Kunden müsse auf jeden Fall überprüft werden, übersieht jedoch, dass die Überprüfungskosten oft die Verluste aus unsicherer Kreditgeschäften übertreffen. BPR hingegen stellt sich zuerst die Frage nach dem, Was
ein Unternehmen tut, bevor es dazu übergeht, das Wie der Geschäfte zu beleuchten. BPR-gerecht würde man in diesem Beispiel zuerst danach fragen, ob die durchgängige Überprüfung potentieller Kreditkunden überhaupt sinnvoll und notwendig ist.

Radikal

Aus dem Lateinischen Begriff radix (Wurzel) ableitend betonen Hammer und Champy, dass das BPR-Konzept keine oberflächliche Schönheitskorrektur sei, sondern an die Wurzeln der Unternehmung rühre. Es gehe den Dingen dabei stets auf den Grund, breche radikal mit der Vergangenheit und erziele durch eine völlige Neugestaltung mehr als die blosse Modifizierung bestehender Geschäftsabläufe.

Verbesserung um Größenordnungen

Hammer und Champy versprechen bei richtiger Umsetzung des BPR-Konzepts eine erhebliche Verbesserung um Grössenordnungen. Leistungssteigerungen um beispielsweise 10% werden dabei nicht als Ziel des BPR verstanden. Die Autoren propagieren hingegen die Realisierung „von ganzen Quantensprüngen“.

Geschäftsprozess – Kerngeschäftsprozesse

Unter einem Geschäftsprozess versteht man eine Reihe von strukturierten Aktivitäten, die für den Kunden zu einem wert- und nutzenvollen Ergebnis führen sollen und die Wertschöpfung eines Unternehmens steigern (Wertschöpfungskette). Die Schaffung von Kundennutzen steht dabei im besonderen Blickpunkt der BPR-Massnahmen.

Zu den Kerngeschäftsprozessen eine Unternehmens zählt man dabei z.B. die Eingangslogistik, die Produktion, den Vertrieb, die Ausgangslogistik und den Kundendienst, die durch sogenannte unterstützende Prozesse wie die Beschaffung und den Einkauf begleitet werden. Im Zuge der Implementierung von BPR ist es von besonderer Bedeutung die jeweils kritischen Geschäftsprozesse zu identifizieren, also
diejenigen, die für das Gesamtziel des Unternehmens nachhaltig und langfristig wichtig sind. Weitere Merkmale kritischer Geschäftsprozesse können z.B. die hohe Bedeutung eines Prozesses für die Problemlösung und Zufriedenheit interner oder externer Kunden, die starke Auswirkung eines Prozesse auf die Kostenintensität/Kapitalbindungsdauer, die durchschlagende Wirkung eines Prozesses
auf die Produktqualität oder die vergleichsweise lange Dauer eines Geschäftsprozesses sein. Je nach Unternehmensbranche sowie den angestrebten Wettbewerbszielen wie Kostenführerschaft oder Differenzierung können im BPR andere Geschäftsprozesse eines Unternehmens als kritische Prozesse bestimmt werden.

Kernkompetenzen

Als Kernkompetenzen bezeichnet man spezielle Fähigkeiten eines Unternehmens, durch die es sich deutlich von den meisten anderen Unternehmen seines Marktes abheben kann. Sie eröffnen dem Unternehmen zumindest potentiell den Eintritt in andere Märkte, können von Konkurrenzunternehmen nur sehr schwer imitiert werden und tragen zu den vom Kunden wahrgenommenen Vorzügen des Endproduktes maßgeblich bei. Im BPR konzentriert man sich vor allem auf diese Kernkompetenzen. Bei eingehender Prüfung können im Unternehmen jedoch in der Regel nur eine überschaubare Anzahl an Kompetenzen als solche identifiziert werden.

Induktives Denken

Hammer und Champy verweisen darauf, dass die meisten Führungskräfte sehr gut in der Lage seien, durch Deduktion vorliegende Probleme zu lösen. Sie seien brillant darin, Probleme zu definieren, verschiedene Lösungsansätze zu bewerten und dabei nach geeigneten Lösungen zu suchen. Gerade im Zusammenhang mit dem Einsatz modernster Informationstechnologie, wie es das BPR vorsieht, kommt es nach Ansicht
der Autoren jedoch viel stärker darauf an, eine Lösung zu erkennen, für die man das entsprechende Problem im Unternehmen erst aufspüren muss, um es dann damit lösen zu können. Als Beispiel führen Hammer und Champy das weltweit bekannte Unternehmen Xerox an, das in den späten 50er Jahren seinen ersten kommerziellen Kopierer nur unter erheblichen Problemen auf den Markt bringen konnte. Kein
potentieller Käufer hatte damals erkannt, dass dieses Gerät, der sog. „914“, ein Problem lösen konnte, das bis dahin noch niemand bewusst verspürt hatte: Die Möglichkeit, beispielsweise ein Skript, Handout oder Protokoll an eine grössere Anzahl von Zuhörern oder Beteiligten direkt austeilen zu können, war damit entstanden und erwuchs innerhalb kürzester Zeit zu einem nicht mehr fortzudenkenden Anspruch und
Bedürfnis. Nach Hammer und Champy liegt demnach die wahre Kraft induktiven Denkens in Verbindung mit neuesten, technologischen Möglichkeiten darin, Antworten auf Probleme zu finden, von denen der Mensch bzw. der Markt (noch) gar nicht weiß, dass er sie überhaupt hat.

Visionen

Visionen stehen am Anfang des BPR. Sie definieren das Fernziel, das sich die Unternehmung für seine Zukunft vorstellt. Es handelt sich bei Hammer und Champy „sowohl um eine qualitative wie auch quantitative Beschreibung, auf die das Unternehmen immer wieder vor und während des Reengineering zurückgreifen kann, als Erinnerung an die Zielsetzung des BPR, als Maßstab, um den Fortschritt zu messen, und als Ansporn für die Fortführung des Reengineering-Projekts.“

Structure follows Process

Die Organisation eines Unternehmens wird üblicherweise in die Ablauf- (Prozess) und die Aufbauorganisation (Struktur) unterteilt. Zwischen Prozess und Struktur ergeben sich eine grosse Anzahl an Wechselwirkungen, wobei in traditionellen Unternehmen, die Prozesse nur im Rahmen der vorgegebenen Strukturen ablaufen können und sollen. BPR verkehrt nach Koenigsmarck dieses Prinzip in sein Gegenteil: die Struktur folgt den Ansprüchen der im Unternehmen ablaufenden (erfolgs)kritischen Geschäftsprozesse. Die gegebene Aufbaustruktur wird danach beurteilt, ob und inwieweit sie effiziente und effektive Prozesse vor allem in Bezug auf eine starke Orientierung an Kundenbedürfnissen zulässt.